wenighair – Haarausfall? Glatze kann jeder.

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Eine wenighair Story: Mit Torsten Nasenberg

Von Glatze zu Glatze

Bevor man sich vom Haarausfall zur Glatze entscheidet, ist es meist eine weite Reise. Um zu sehen und zu zeigen wie unterschiedlich diese Reise verlaufen kann, möchte ich dazu gerne die Stimmen aus unserer Community, also von euch, einfangen. 

Den Anfang macht hier auf dem Blog Torsten von den Spieledinos. Bei ihm fing der Weg nicht mit dem typischen Gedanken „Verdammt, mir gehen die Haare aus!“ an und er hat sich gleich mehrfach zur Glatze entschieden

Nachdem ihr euch auf YouTube und als Podcast schon unser Gespräch anhören konntet, hat er seinen wechselhaften Weg zur „Nosferatu-Frisur“ noch einmal als sehr lebendigen Reisebericht für euch niedergeschrieben. 

Viel Spaß bei der Lektüre und sagt mir doch mal was euer
„Aha“-Moment auf dem
Weg zur Glatze war! 

Aber fangen wir mal ganz am Anfang an: Klein Torsten hatte schon immer gerne kurze Haare. Ab dem Zeitpunkt, an dem ich mich (Mitte der 80er) selbst für eine Frisur entscheiden konnte, war für mich die Standard-Frisur der „Teppich mit Schwänzchen“. Diese heutzutage zu Recht verpönte Frisur lässt sich wie folgt beschreiben: ziemlich standardmäßige Kurzhaarfrisur, ohne Scheitel oder anderen Schickschnack, aber mit dem „Clou“, dass am Ende des Nackens eine Strähne länger gelassen wird und damit nach einer Weile das namengebende Schwänzchen ergeben. Das zu beschreiben fühlt sich mehr als 30 Jahre später ganz schön absurd an. Noch absurder: Ich war mit diesem Frisurenunfall alles andere als alleine, wer beim Friseur den „Teppich mit Schwänzchen“ geordert hat, musste nichts mehr erklären und wusste was er bekommt.

Abseits vom Schwänzchen war mir sehr wichtig, dass der Rest so kurz ist wie es nur geht. Auf die Kürze meiner Haare war ich damals regelrecht stolz. Diesen Stolz kratzte damals ein Kumpel an, der meine Prahlerei mit den Worten quittierte: „An denen kann man ja noch ziehen, dann sind die auch nicht richtig kurz!“. Ab diesem Punkt hatte ich beim Friseur einen neuen Standard für „kurz“ geschnitten: nach dem Haare selber schneiden reingreifen und wenn ich noch dran ziehen konnte, musste der Friseur noch mal ran.

Der Hang zu kurzem Haar blieb lange bestehen. In der späteren Teenagerzeit wurde natürlich ein wenig rumexperimentiert und die Haare wurden auch mal länger. Das höchste der Gefühle war aber mal eine Länge, die mir während eines Blind Guardian Konzerts in Dortmund ständig beim Headbangen in die Augen flog. Salz von verschwitzten Haaren in den Augen fand ich eher nicht so geil, also war für mich klar: Einen Langhaar-Metal-Torsten wird es nicht geben, runter mit der „Matte“.

Spätestens ab da wurde das Haargel dann ein treuer Begleiter. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass ich damals mitunter mehr Gel als Haar auf dem Kopf hatte. Damals wurde ich von Schulkameraden und Freunden schon häufiger damit aufgezogen, dass meine Haare ausfallen würden, weil ich so viel Gel benutze. Das habe ich natürlich vehement bestritten, immerhin wär ja die Konsequenz gewesen, weniger Gel zu benutzen. Und das ging ja gar nicht. Ich habe aber tatsächlich damals auch keinen Haarverlust wahrgenommen. Vielmehr wurden die einzelnen Haare einfach dünner und sahen deshalb weniger dicht aus.

Ich weiß gar nicht mehr wie ich an den ersten Langhaarscheider gekommen bin, aber ab dem Punkt wurde aus kurzen Haaren dann irgendwann RICHTIG kurzes Haar. Die Haarlänge pendelte damals dann irgendwo zwischen 3 und 7 mm.

Es war natürlich klar, dass für ein formvollendetes Kostüm auch die letzten paar Millimeter vom Kopf weichen mussten. Mit der Idee hatte ich auch vorher immer mal gespielt, aber eine Glatze als „zu krass“ immer für mich ausgeschlossen. Ich war jung, deutsch und trug die in der Metal-Szene damals absolut obligatorischen Cargo-Pants, Kampfstiefel und Cap. Für mich war damals klar, wie meine Umwelt diesen Kleidungsstil zusammen mit einer Glatze interpretieren würde. Rechtes Gedankengut war mir damals so fern wie heute, aber wie man (zumindest im Ruhrpott) sagt: Man kann den Leuten halt immer nur vor den Kopp gucken. Soll heißen: Was darin stattfindet, weiß man erstmal nicht und kann deshalb schnell falsche Schlüsse ziehen.

Mit dem Zuspruch meiner italienischen Freundin und der Ausrede „Halloween-Kostüm“ erschienen mir die ganzen Bedenken plötzlich ziemlich unwichtig, also wurde Ernst gemacht und Torsten bekam seine erste Glatze. Damals noch mit Hilfe und aus heutiger Sicht recht dilettantisch, aber es war eine Glatze.

Bis auf wenige Ausnahmen, die sich erst an die Glatze gewöhnen mussten, schlug die neue Frisur ein wie eine Bombe. Innerhalb meiner Freundes-Bubble gab es ausschließlich positive Reaktionen. Und ich hatte endlich die ultimative Kurzhaarfrisur für mich entdeckt. Weniger Aufwand, keine Zweifel mehr, ob die Haare liegen und zusätzlich noch massig Zuspruch von „meinen Leuten“ aus der Metalszene!

Das daraus entstehende Selbstvertrauen hat mich auch ganz entspannt über die verständnislosen und teilweise irritierten Reaktionen „normaler“ Menschen hinwegsehen lassen. Ein stückweit habe ich den damaligen Widerspruch zwischen meinem „bösen“ Äußeren und meiner netten Persönlichkeit auch regelrecht genossen. Dementsprechend zog sich die Nosferatu-Frisur durch den Rest meiner Schulzeit und auch meinen darauffolgenden Zivildienst an einer Privat-Uni.

Die Kehrtwende kam, als ich mich auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz begab. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir dann doch so langsam klar, dass eine Diskrepanz zwischen Äußerem und Innerem im Privatleben vielleicht ganz nett sein kann, im beginnenden Berufsleben aber problematisch werden könnte.

Meine Ratio dahinter: Wer mich kennenlernt, wird schon feststellen, dass die Glatze nur eine Frisur ist und ich ansonsten ein netter Kerl bin, der nicht auf den Kopf gefallen und schon gar nicht rechts ist. Wer aber nur meine Bewerbung vorliegen hat, zieht erstmal nur seine eigenen, eventuell rein oberflächlichen, Schlüsse.

Ein Freund hatte damals wegen seiner Haarlänge bereits einen Ausbildungsplatz nicht erhalten, in seinem Fall weil die Haare zu lang waren und er nicht bereit war, daran etwas zu ändern. Heutzutage würde ich das anders beurteilen, aber damals dachte ich: “Wie doof kann man sein, dass man sich wegen sowas Dummem wie der Haarlänge die Zukunft verbaut? Hätte er doch hinterher wieder wachsen lassen können!“. Dass Haarlänge bzw. Frisur auch ein ziemlich dummer Grund sind, Jemandem eine Ausbildungsstelle zu verwehren, habe ich damals nicht realisiert.

Da ich jetzt gedanklich vor derselben Wahl stand, war für mich aber auch klar dass ich mir dann die Haare halt einfach wachsen lassen würde. Runter mit der Haarlänge könnte ich ja hinterher immer noch.

Also ließ ich mir die Haare wachsen, trug einen sozialverträglichen Seitenscheitel und ergatterte eine der begehrten Ausbildungsstellen als Industriekaufmann bei einem großen deutschen Stahlhersteller. Die Frisur habe ich nicht gefeiert, am Anfang aber noch als notwendiges Übel hingenommen. Auch da litt ich noch nicht unter Haarausfall, die dünnen Haare wurden aber zunehmend zum Nervfaktor. Das allmorgendliche „Modellieren“ meiner Frisur war die zeitintensivste meiner Morgenroutinen. Immerhin sollte das ganze ja trotz literweise Haargel halbwegs natürlich wirken, aber der Kopf lückenlos bedeckt aussehen. Wahrscheinlich hätte ich für die Außenwelt dasselbe Resultat auch in einem Bruchteil der Zeit erreicht, aber ich wollte nichts dem Zufall überlassen.

Da ich ja mein Ziel Ausbildungsstelle erreicht hatte und mich ausreichend etabliert fühlte, wurden die Haare nach ein paar Monaten wieder gekürzt. Auf nassrasierte Glatze bin ich damals zunächst nicht gegangen. Aber nach einiger Zeit mit den obligatorischen 3 mm hab ich dann wieder Ernst gemacht. Was ich damals schon für mich abgehakt hatte, war der Gedanke, irgendwer könne mich mit Glatze für rechts halten. Die Ignoranz meines Ausbildungsleiters holte diesen Gedanken aber schnell wieder zurück.

Nach einem Wahlerfolg irgendeiner rechten Partei in irgendeinem östlichen Bundesland wurde ich am Montag vor versammelter Mannschaft von ihm mit den Worten begrüßt: “Da haben Ihre Leute ja ganz schön abgeräumt am Wochenende!“. Er hatte die Bemerkung halbwegs offenkundig als Scherz gemeint. Mit meinem heutigen Selbstvertrauen und vor allem Selbstverständnis hätte er einen witzigeren Spruch als Antwort bekommen und alles wäre gut gewesen.

Damals habe ich, immer noch sehr souverän, geantwortet: „Haben sie gerade einen Moment Zeit? Ich glaube, wir müssen uns mal unterhalten“. Eine Ansprache vor allen Anderen hätte sicherlich nur zu einer unnötigen Eskalation geführt. Also habe ich ihn in seinem Büro darüber zur Rede gestellt, wie geschmackslos ich diesen Witz fand, mich rückversichert, dass ihm schon klar sei, dass ich mitnichten rechts bin und mir zukünftig ähnlich unangebrachte Sprüche verbeten. Alles war gut und ich habe mir durch meine besonnene Reaktion sicherlich noch etwas Respekt bei ihm dazuverdient.

Das war das einzige Mal, dass meine Glatze während meiner Ausbildung offen in einen vermeintlichen politischen Kontext gesetzt wurde.

Es reichte aber, um mich wieder auf den altbekannten Gedanken zu bringen, dass es ja durchaus Leute geben kann und wird, die ähnlich denken, es mir aber einfach nicht sagen. Leute, die mich dann für eine rechte Glatze halten und mir daraus eventuell Nachteile entstehen lassen. Nachteile, von denen ich nie wissen würde, ob sie von meiner Frisur verursacht wurden. Einer dieser Leute könnte eventuell während meiner Abschlussprüfung im Prüfungsausschuss sitzen.

Also entschied ich mich zur Prüfung die Haare wieder wachsen und den Seitenscheitel wieder aufleben zu lassen. Auch da hatte ich wieder den Plan: Wenn ich dann nach abgeschlossener Prüfung fest übernommen bin, kommen die Haare wieder ab. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Es war schon vor Ausbildungsende klar, dass wir Azubis einfach übernommen werden können, sondern zunächst eine befristete Übernahme für ein Jahr bekommen würden. Aus einem Jahr wurden letztendlich zwei Jahre Befristung, erst danach folgte die unbefristete Übernahme. 

Also der Zeitpunkt wieder auf meine lang ersehnte Glatze zu wechseln? Nicht ganz, da ich meinen Kopf mittlerweile selbst so gef*ckt hatte, dass für mich klar war: bevor du 30 bist, kannst Du Dir nicht wieder eine Glatze machen. Die Ratio dahinter: ab 30 ist man alt, da nehmen Vorgesetzte die Glatze eher als notwendig hin und nicht als politisches Statement. Und schließlich wollte man ja noch was werden in der Unternehmenshierarchie und einen Chef mit Glatze hatte man bis daher bei uns nicht gesehen. Es gab nur den einen Kollegen, der seit 40 Jahren eine unfreiwillige Glatze hatte und aus ähnlicher Unsicherheit seitdem eine Perücke trug. Not so Fun Fact: dieser Kollege hat sich wirklich erst mit Eintritt in die Rente getraut, den „Fiffi“ wegzulassen und frei mit seiner Glatze rumzulaufen. 

Zu dem Zeitpunkt war ich 27 Jahre alte und musste mich mit dem Gedanken abfinden, dass gemäß meiner eigenen, komplett willkürlichen gesetzten, Grenze noch 3 Jahre Seitenscheitel vergehen müssten, bevor es wieder Zeit für die Nosferatu-Frisur wird und die dann bleiben kann.

Auch wenn manche Freunde und Kollegen das damals anders sahen: damals hatte ich immer noch keinen tatsächlichen Haarausfall, nur die dünnen Haare, die ich schon immer hatte. Die waren dieselbe Belastung, die sie schon vorher darstellten. Dass ich wusste, dass die Glatze die Lösung dieses Problems wäre und ich sie ohnehin endlich wieder tragen wollte, machte die Situation für mich aber immer schwerer zu ertragen.

Es dauerte ein paar Monate, bis ich an einem Sonntagmorgen endgültig die Schnauze voll hatte. Sorry für die Wortwahl, aber sie bringt es auf den Punkt: Der Blick auf den klar durch die Haare erkennbaren Kopf. Das Wissen, dass ich jetzt wieder Zeit und Energie in eine verhasste Frisur investieren würde. Die Sehnsucht, endlich wieder „meine“ Frisur, die Glatze, tragen zu können. Zu wissen, dass das jetzt noch jahrelang andauern würde. All das kotzte mich regelrecht an.

Also nahm ich den Haarschneider, der seit langer Zeit zum Bartstutzer degradiert worden war, und hatte in der Hälfte der Zeit, die ich sonst zum frisieren brauchte, alles abgeschoren. Ich fühlte mich einfach nur mega befreit. Danach kamen Rasierschaum und Glatzen Rasierer zum Einsatz und machten die Glatze perfekt. Endlich war ich wieder da, wo ich seit Jahren hin wollte: kein Kompromiss in Form eines Seitenscheitels mehr, ich war gefühlt endlich wieder ich.

Zu Anfang kamen natürlich wieder kleine Zweifel auf. Wie würde das Arbeitsumfeld reagieren, das zwar aus meinen Anekdoten wusste, dass ich früher Glatze trug, diese aber nie gesehen hatte? Würden wieder irgendwelche falschen Schlüsse auf meine politische Gesinnung angestellt werden? „Muss“ ich vielleicht hinterher doch wieder die Haare wachsen lassen?

In meinem privaten Umfeld gab es wieder keinerlei Probleme. Wer mich vorher mit Glatze kannte, war fast so froh wie ich, dass ich sie endlich wieder hatte. Die anderen waren ebenfalls begeistert und selbst die Friseurin, zu der ich bis dahin regelmäßig gegangen war, sagte: „Viel besser als vorher!“. Mir wurde klar: Du musst was richtig machen, wenn selbst eine Person dir zustimmt, deren Einnahmequelle durch deine Glatze wegfällt. Damit war klar, dass es definitiv keinen Weg mehr zurückgeben würde: Die Glatze war endlich gekommen, um zu bleiben.

Ich stellte aber schnell fest, dass viele Leute insbesondere im Arbeitsumfeld nicht begreifen konnten, dass man sich freiwillig und ohne offensichtliche Not für eine Glatze entscheiden kann. Am Anfang versuchte ich noch, es den Leuten irgendwie begreiflich zu machen. Aber irgendwann bin ich einfach dazu übergegangen, meine dünnen Haare als Grund anzuführen. Die Reaktion darauf war meist: „Aber bei anderen ist das doch viel schlimmer und die rasieren sich auch nicht den Kopf.“. Gefolgt von meiner Antwort: „Ich kann ja nichts dafür, dass andere Leute zu lange warten.“

Einige wenige Male kamen noch mal dumme „Glatze=rechts“-Witze auf, aber die konnte ich mit gefestigterer Persönlichkeit und frische getanktem Selbstbewusstsein durch die Nosferatu-Frisur abperlen lassen oder schlagfertig kontern.

Je länger ich in der Arbeitswelt mit Glatze unterwegs war, desto entspannter gingen ich und mein Umfeld mit der Glatze um. Irgendwann war sie dann, wie auch jede andere Frisur, einfach kein Thema mehr.

Wirklich bewusst wurde mir das aber erst, als ein ebenfalls Glatze-tragender Kollege darüber klagte, er würde benachteiligt, weil er ja eine Glatze trägt. Dass sich der Kollege aber tatsächlich durch seine Persönlichkeit und Arbeitsleistung disqualifizierte und ihm deshalb die vermeintlichen Nachteile entstanden, begriff er nicht.

Für mich machte das aber noch mal unmissverständlich klar: Die Glatze steht einem nicht im Weg. Das tut man höchstens selbst.

Mittlerweile hat der Haarausfall tatsächlich eingesetzt und der Weg zurück zum Seitenscheitel ist endgültig verbaut. Nosferatu ist definitiv gekommen, um zu bleiben.


Text: Torsten Nasenberg / Fotos: Christos Stavrou